Man schafft nicht durch bloße Nachahmung, durch bloße Imitation nach dem Modell, sondern man schafft, indem man sich hineinversenkt in diejenige Kraft, aus der heraus die Natur selber den Menschen geformt und geschaffen hat…
Man schafft nicht durch bloße Nachahmung, durch bloße Imitation nach dem Modell, sondern man schafft, indem man sich hineinversenkt in diejenige Kraft, aus der heraus die Natur selber den Menschen geformt und geschaffen hat. Rudolf Steiner.
” Zu einer solchen Vorstellung kommt man, wenn man vorrückt von dem, was mit den physischen Augen an den Lebewesen, vor allen Dingen am Menschen zu sehen ist, zu dem, was ich jetzt hier Imagination genannt habe, wobei sich einem statt des physischen Menschen der Kosmos in Bildform eröffnet und einem einen neuen Raum schenkt. Sobald man dazu vorrückt, kommt man dazu, anzuschauen dasjenige, was ein zweiter Leib des Menschen ist, den ein älteres, ahnendes Hellsehen, ein instinktives Hellsehen genannt hat den Ätherleib, den man besser nennt den Bildekräfteleib; einen übersinnlichen Leib, der aber durchaus aus feiner, ätherischer Substantialität besteht und der durchdringt den physischen Leib des Menschen. Wir können diesen physischen Leib studieren, wenn wir die ihn durchströmenden Kräfte innerhalb seiner Raumausdehnung suchen. Den Äther- oder Bildekräfteleib, der den Menschen durchflutet, können wir nicht studieren, wenn wir von diesem Raume (Mitte; Zeichnung/Screenshot ) ausgehen. Wir können ihn nur studieren, wenn wir ihn als gebildet aus dem ganzen Kosmos auffassen, wenn wir ihn so auffassen, daß eben diese von allen Seiten sich der Erde nähernden Kraftflächen an den Menschen herankommen und von außen her seinen Bildekräfteleib plastisch formen. Auf keine andere Weise als dadurch ist in den Zeiten, in denen bildende Kunst noch aus dem Elementaren, aus dem Ursprünglichen heraus entstanden ist, diese bildende Kunst entstanden. Mit intuitivem Blick wird man das einem solchen Werk wie zum Beispiel der Venus von Milo ansehen. Die ist nicht geschaffen, indem man Anatomie studiert hat, indem man an die Kräfte appelliert hat, welche aus dem Raumesinnern des physischen Leibes heraus bloß verständlich sind, sondern sie ist geschaffen dadurch, daß man gewußt hat in älteren Zeiten von jenem Bildekräfteleib, der den physischen Leib durchdringt, der aus dem Kosmos heraus gestaltet wird, der aus einem Raum gestaltet wird, der ebenso peripherisch ist, wie der irdische Raum zentral ist. Dadurch aber, daß ein Wesen gestaltet wird von der Peripherie des Weltenalls herein, dadurch wird ihm aufgedrückt dasjenige, was nach der Urbedeutung dieses Wortes des Wesens Schönheit ist. Des Wesens Schönheit ist nämlich der Abdruck des Kosmos, mit Hilfe des Ätherleibes, in einem physischen Erdenwesen.
Studieren wir der reinen, trockenen Wahrheit gemäß ein physisches Erdenwesen, dann bekommen wir eben dasjenige, was es dem gewöhnlichen physischen Raum nach ist. Lassen wir auf uns wirken die Schönheit eines Wesens, wollen wir durch plastische, bildende Kunst steigern diese Schönheit eines Wesens, dann müssen wir uns bewußt werden: Dasjenige, was als Schönheit aufgeprägt wird dem Wesen, das stammt aus dem Kosmos; das ist dasjenige, was uns enthüllt in dem einzelnen Wesen, wie der ganze Kosmos in diesem Wesen wirkt. Dazu muß man allerdings empfinden, wie dieser Kosmos in der menschlichen Gestalt zum Beispiel zum Ausdruck kommt.
Diese menschliche Gestalt zerfällt ja, wenn wir in der Lage sind, durch innerliche, imaginative Anschauung auf sie einzugehen, zunächst so, daß wir unser seelisches Augenmerk lenken auf die Hauptesbildung. Wenn wir die Hauptesbildung in ihrer Totalität überschauen, dann verstehen wir diese Hauptesbildung nicht, wenn wir sie etwa bloß aus dem Innern des Hauptes heraus erklären wollen. Wir verstehen sie nur, wenn wir sie unmittelbar auffassen als aus dem Kosmos heraus, auf dem Umwege durch den Bildekräfteleib, bewirkt.
Gehen wir über zu der Brustbild des Menschen, dann kommen wir zu einem innerlichen, zu einem auf die Gestalt sich beziehenden Verständnis nur, wenn wir die Möglichkeit haben, uns vorzustellen, wie der Mensch lebt auf der Erde, die umkreist wird – wenn auch nach der heutigen Astronomie nur scheinbar, das tut nichts zu dieser Betrachtung – von alledem, was die Erde aus der Sternenwelt umkreist in der Tierkreislinie. Während wir das Haupt beziehen auf den Pol des Kosmos, beziehen wir dasjenige, was in der Brustbildung des Menschen gestaltet ist, was da durchaus in der sich wiederholenden Äquatoriallinie verläuft, auf dasjenige, was im Sonnenumkreis des Jahres oder der Tage sich in der verschiedensten Weise vollzieht.
Erst wenn wir zum Gliedmaßensystem des Menschen gehen, besonders dem unteren Gliedmaßensystem, dann bekommen wir das Gefühl: Das ist nun nicht dem äußeren Kosmos zugeteilt, das ist der Erde zugeteilt; das hängt zusammen mit der Schwerkraft der Erde. Schauen wir mit dem Sinn des plastischen Künstlers hin auf die Fußbildung des Menschen, wir sehen sie angepaßt der Schwerkraft der Erde. Wir sehen die ganze Konfiguration, wie Unterschenkel und Oberschenkel durch Vermittelung des Knies ineinandergefügt sind, so, daß wir sie zugeteilt finden dem, was die Erde in ihrer Dynamik, in ihrer Statik ist, wie aus ihrem Mittelpunkt heraus in das Weltenall hinein die Schwerkraft wirkt.
Wir haben davon eine Empfindung, wenn wir die menschliche Gestalt betrachten mit dem bildhauerischen Blicke. Zum Haupte brauchen wir alle Kräfte des Kosmos, brauchen wir gewissermaßen die ganze Sphäre, wenn wir dasjenige, was in so wunderbarer Weise ausgedrückt ist in der Hauptesbildung, verstehen wollen. Wenn wir verstehen wollen dasjenige, was in der Brustbildung zum Ausdruck kommt, da brauchen wir dasjenige, was gewissermaßen in der Äquatoriallage die Erde umströmt. Wir kommen zum Umkreis. Wollen wir verstehen namentlich das untere Gliedmaßensystem des Menschen mit dem sich daranschließenden Stoffwechselsystem, so müssen wir uns an die Kräfte der Erde halten. In dieser Beziehung ist der Mensch an die Kräfte der Erde gebunden. Kurz, wir bekommen einen Zusammenhang des ganzen lebendigen, lebendig gedachten Weltenraumes mit der menschlichen Gestalt.
Heute wird man wahrscheinlich in vielen Kreisen, auch in künstlerischen Kreisen, über eine solche Betrachtung, wie ich sie eben angestellt habe, lachen. Ich kann gut begreifen warum. Aber man kennt wenig die wirkliche Geschichte der menschlichen Entwickelung, wenn man über solche Dinge lacht. Denn wer sich wirklich vertiefen kann in die bildhauerische Kunst alter Zeiten, der sieht schon an den bildhauerischen Gestalten, die da geschaffen worden sind, wie in sie hineingeflossen sind jene Empfindungen, die ausgebildet wurden im imaginativen Anblick des gestirnten Himmels. In den ältesten bildhauerischen Gestaltungen ist eben der Kosmos in der menschlichen Gestalt zur Anschauung gebracht worden. Allerdings muß da, was sonst nur in verstandesmäßiger Weise Erkenntnis genannt wird, angesehen werden als eine solche Erkenntnis, die mit dem ganzen Umfang der menschlichen Seelenkräfte zusammenhängt. Man wird ja Bildhauer – wenn man wirklich Bildhauer ist – aus Elementarischem heraus, nicht bloß weil man gelernt hat, an alte Stilformen sich anzulehnen, um dasjenige wieder auszubilden, was man in dieser oder jener Stilepoche, wo man noch mit dem lebendigen Schaffen zusammenhing, gewußt hat, was man heute nicht mehr weiß. Nicht dadurch wird man Bildhauer, daß man sich an Traditionelles anlehnt – das geschieht heute zumeist, auch bei vollendeten Künstlern -, sondern man wird Bildhauer dadurch, daß man aus vollem Bewußtsein heraus zurückgreifen kann bis zu den gestaltenden Kräften, die einmal zur bildenden Kunst geführt haben. Da muß man wiederum kosmische Empfindungen bekommen, muß man wiederum das Weltenall empfinden und in dem Menschen einen Mikrokosmos, eine kleine Welt sehen können. Da muß man es ansehen können der menschlichen Stirn, wie ihr aus dem Kosmos heraus das Gepräge aufgedrückt ist. Da muß man ansehen können der Nase, wie ihr das Gepräge aufgedrückt ist aus demjenigen, woraus auch dem ganzen Atmungssystem das Gepräge aufgedrückt ist: aus dem Umkreise, aus demjenigen, was in der Äquatoriallinie, in der Tierkreislinie die Erde umkreist. Und man bekommt dann die Empfindung dafür, was man darstellen muß. Man schafft nicht durch bloße Nachahmung, durch bloße Imitation nach dem Modell, sondern man schafft, indem man sich hineinversenkt in diejenige Kraft, aus der heraus die Natur selber den Menschen geformt und geschaffen hat. Man gestaltet so, wie die Natur selber gestaltet. Dann muß sich aber die ganze erkennende und künstlerisch schaffende Empfindung dem anpassen können.”
RUDOLF STEINER (GA 82 S. 86-91 Bildhauer)
Damit der Mensch ganz Mensch werde Die Bedeutung der Anthroposophie im Geistesleben der Gegenwart
Sechs Vorträge, gehalten beim anthroposophischen Hochschulkurs in Den Haag vom 7. bis 12. April 1922,
mit einem schriftlichen Bericht Rudolf Steiners über den Hochschulkurs
1994 RUDOLF STEINER VERLAG DORNACH/SCHWEIZ
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